Ockfener Ortschronik

 

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Bericht des Architekten Nikolaus Leidinger aus Mainz – Kastel, über die Einnahme von Ockfen durch die Amerikaner an Pastor Müller

 

„Wer schreibt hier? Ein Mann, der wie viele Millionen zur grauen Armee zählte, der, wie jeder andere in die Uniform gepresst und zum Soldatsein verurteilt war. Ein Mann, der im Kommen der Ereignisse seine Rechnung mit dem machte, der in den Tagen voraus in Ihnen einen Beichtvater hatte, ehe der himmlische Friede vom Tisch des Herren in seine Seele floss. Ein Mann, der mutig am Sonntag Gott gab, was Gott ist, wo auch das raue Kriegshandwerk ihn hin verschlug, oft genug zum Spott eines gotteslästernden Bandentums seiner grauen Umgebung“.

Man schreibt den 23. Februar des Jahres 1945.

Die Behelfsbrücke, die Ockfen mit Ayl verband, ging tagszuvor unter donnerndem Getöse in die Luft. Im Augenblick war das Holzwerk zerstört, an dem in der Nacht vor knapp einer halben Woche ein dreißig Meter langes Loch überbrückt wurde, während die feindliche Artillerie über die Köpfe der schwitzenden und keuchend arbeitenden Pioniere hinweg ihre Garben hinüber sandten, die auf dem gegenüberliegenden Berg (Herrenberg) und am Rande des Ortes einschlugen.

Die Amerikaner hatten Ayl besetzt. Wann wird er seine Kräfte gegen uns handvoll Männer einsetzen? Noch kämpfte die Nacht mit dem Jungen Morgen, als im Nebel der Feind in die ersten Häuser eindrang. Er zeigte sich am Fenster eines Hauses und winkte meinen Kameraden zum freiwilligen Kommen. Die Antwort jedoch war ein unsinniges Fortsetzen des Widerstandes und schon sausten die Stahlgeschosse der Panzerfaust gegen die Fensterscheiben. Der Eindringling wurde unter der Stoßkraft eines feuernden Sturmgeschützes aus dem Ort verjagt; einige seiner weißen Soldaten gerieten hierbei in deutsche Gefangenschaft. Mancher Waffenträger war freudig gestimmt über den Scheinerfolg. Doch bald wurde diese Freude getrübt. Im hellen Blau zeigte sich jetzt der feindliche Spähvogel und zog seine Kreise immer enger und enger um den Schauplatz des morgendlichen Geschehens. Da schlugen auch schon die ersten Granaten in Ockfen ein, näher und näher fielen die Einschläge und das Feuer verstärkte sich mehr und mehr. Im Ortsgefecht fielen zwei unserer Kameraden und 2 Männer einer kleinen Infanterieeinheit. Der Sanitäter, ein junger Theologe, mutig, fromm, verband die Verwundeten unter tröstenden Worten.

Die Mittagsstunde war vorüber. Das feindliche Arifeuer lag stärker auf dem Ort. Vor dem Eingang zum Kompanie Gefechtsstand, der im Weinkeller eines guten Hauses (Gebert) am Ortseingang untergebracht war, hielt ich Wache. Einige Bürger, die hier Zuflucht suchten, ermahnte ich, gegen den Rand des Hofes zu kommen, der, von Wirtschaftsgebäuden umsäumt, mit einer Seite an eine schmale Seitenstraße grenzte. Da zerriss ein markerschütternder Schlag die Luft; ich stürmte in den Keller, sonst hätte mich das herabfallende Gestein getroffen. Unaufhörlich schlugen die Arisalven genau über den Eingang zu den Wohngeschossen. Von den Kellerdecken viel der Verputz in nussdicken Blättern handbreit herunter und eine undurchdringliche Staubwolke türmte sich vor dem Kellerloch auf. Die Bürger, meist Frauen mit ihren Kindern, so wie einige alte Männer, öffneten ihr Herz gegen Himmel. Trost und Stärke erflehend floss laut von der Lippe innig und ergreifend das Gebet. Das Feuer dröhnte – dann war es plötzlich still, ruhig, fast wie in der Nacht. Man hörte nur das gleichmäßige Summen des Spähers. Krachend fielen dann wieder die Arisalven - man konnte die Einschläge nicht mehr zählen - aufs neue in das Haus. Halb schluchzend kamen die Worte der betenden Frauen und Kinder hervor. Uns Männern würgte es in der Kehle. Ist unser Ende so beschlossen? Unter Trümmern wird unser Grab sein, wenn Gott nicht eine Hilfe schickt. Der Chef der Männer wird totenbleich, seine Stimme klang dünn und kraftlos; er wird stumm – Stille! - Was folgt? „Alarm!“ brüllt heiser eine Stimme zum Eingang herein, in die sich das Knarren eilig hastender Stiefelschritte mischte. Keuchend, außer Atem stieß Uffz. A. über die Treppe in stolperndem Sprung. „Alles heraus zum Sturm, der Amerikaner ist hier:“ Der Chef wiederholte laut schreiend: „Alles heraus zum Sturm“! „Hurra“, kreichten Frauen und Kinder verwirrt auf; die alten Männer wehrten besonnen ab: „Was ruft ihr Hurra, seit ihr .....“! „Halt“, rief ich erregt zum zum Kompaniechef hin, „was soll noch dieser nutzlose Widerstand, und was wir aus den Zivilisten!“ Unteroffizier B. taumelte dennoch in in seiner Weinlaune die Treppe hinauf. Ich hielt ihn am Ärmel, schnell riss er sich los, und kaum war er draußen, da krachte ein Schuss und getroffen stürzte er nieder. Jeder Augenblick peinigte jetzt jeden, als stünde die Zeit still. - Wir hatten gerade den Fasskeller erreicht, da krepierte eine Handgranate die der Feind in den Eingang warf. Eine zweite folgte. Jetzt erkannte ich klar die Lage. Der Feind mahnte, heraus zu kommen – oder er wird uns ausräuchern mit seinen gefürchteten Ölflammenwerfern. Ich denke an unser aller Leben und an das Leben der schuldlosen Bürger von Ockfen. „ Herr Oberleutnant!“ rief ich bestimmt, indem ich ihm ein weißes Taschentuch überreichte, „leiten Sie sofort die Übergabe ein, sonst werden wir alle lebendig verbrannt.“ Jedoch es gehört Mut dazu, sich jetzt noch zum Eingang zu bewegen. Zittern gab mir der feige Offizier das Taschentuch zurück. Ich warte noch einen günstigen Augenblick ab, - da detoniert eine geballte Ladung, die in den Keller fiel. Dann stürzte ich sprungweise auf die Treppe, winkte mit erhobener Hand und rief: „ Nicht schießen!“ Aufstehend entwaffneten mich die dunkelfarbigen Amerikaner, die den Hof füllten. Mann für Mann kam jetzt aus dem Loch hervor und zuletzt verließen die Bürger von Ockfen den Keller. Unser aller Leben war gerettet. Wir gefangenen Soldaten mussten abwechselnd die schweren Flammenwerfer schleppen, die der Ami im Hofe als tödliche Waffe bereithielt. -

Erinnern sich heute noch die Bürger von Ockfen, die von dieser Rettung des Himmels bedacht wurde, jener entscheidenden Stunden, oder wussten sie nicht von der schrecklichen Gefahr, in der sie sich befanden?“

Soweit der Bericht von Nikolaus Leidinger aus Mainz – Kastel. Er ergänzt das schreckliche Bild des 23. Februar 1945. Es ist der Tag, von dem der Wehrmachtsbericht nüchtern und kalt meldet: „ Bei Ockfen hat der Feind den Westwall durchbrochen:“

 

Autor: Alfons Müser

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